Saisonbericht 2021 - Eine lange, erfolgreiche Saison.

Das Jahr 2021 stand ganz unter dem grossen Ziel, Olympische Spiele Tokyo 2020. Nachdem die Olympischen Spiele um ein Jahr nach hinten verschoben wurden, stand auch mein neues grosses Ziel fest, den Quotenplatz für die Olympischen Spiele in Tokyo an der Elite Europameisterschaft in Ivrea zu holen.

Kalter, harter Winter

Die Vorbereitung im Winter stellte sich als schwierig heraus, da viele Trainingslager im Ausland coronabedingt ins Wasser fielen. Ich blieb also mehrheitlich in der Schweiz und biss mich durch die kalten Wintertrainings durch, immer mein grosses Ziel im Hinterkopf. Im Februar konnten wir, nach mehreren Absagen von Trainingslagern, endlich ein Trainingslager in Paris, auf der Olympiastrecke von 2024, durchführen. Die kalten Temperaturen, gemischt mit viel Regen und Wind, machten die äusseren Bedingungen für die Trainings eher weniger angenehm. Doch da dies meine ersten Wildwassertrainings seit drei Monaten waren, machte mir dies nicht viel aus und ich konnte sehr viel Motivation für die weitere Saisonvorbereitung tanken.

Selektionsrennen Solkan und Ivrea

Ab März geht es dann immer blitzschnell, bis die nationalen Selektionen für die verschiedenen Teams kommen. Gepaart mit ein wenig Schulstress des Abschlussjahres vergingen die letzten Wochen vor Saisonbeginn wie im Flug, trotz Flachwassertraining auf der Limmat. Im April ging es dann ab nach Solkan (SLO) für die ersten Selektionsrennen. Die Motivation war hoch, das Training lief gut. Am ersten Selektionswochenende ging ich mit zwei zweiten Plätzen nach hause. Die Rennen hätten besser laufen können, aber mit diesen soliden Ergebnissen hatte ich meinen Platz im U23 sowie im Elite Team schon fast sicher, und das war alles, was zählte. Die zweiten Selektionsrennen waren in Ivrea (ITA), wo später auch die Elite Europameisterschaft stattfinden würde. Die Trainings waren ein Auf- und Ab, genau wie der Wettkampf. Doch aus diesem Wettkampf konnte ich viel lernen und ich wusste, woran ich noch arbeiten musste bis zur EM. Ich arbeitete das erste Mal mit dem neuen Verbandstrainer zusammen, der mich fünf Wochen später auch zur EM begleiten würde. Zudem sicherte ich mir meinen Platz im Elite Team (und U23), womit ich meinem Traum einen Schritt näher kam.

Vorbereitung und Stand des Trainings

Die Saison war jetzt im vollen Gang und die Vorbereitung für die EM in Ivrea lief auf Hochtouren. Ende April gingen wir dazu nochmals nach Ivrea für ein Trainingslager. Mittlerweile hatte ich mich wieder besser ans Wildwasser gewöhnt und psychisch und physisch fühlte ich mich mehr bereit für den wichtigen Wettkampf. Die Trainings liefen viel besser als noch zwei Wochen bevor an den Selektionen. Ich fühlte mich gut auf dem Wasser und die Konstanz der guten Abschnitte hatte sich deutlich gesteigert. Als ich auch noch die ganzen Läufe, mein Knackpunkt bis anhin, solid runter gebracht hatte, kam auch das nötige Vertrauen wieder, um einen Wettkampfslauf runterzubringen.

Elite Europameisterschaft Ivrea; Olympiaticket und Finaleinzug

Anfang Mai war es so weit, die Europameisterschaft und letzte Möglichkeit, mich für Tokyo qualifizieren zu können, stand vor der Tür. Um den Quotenplatz für die Schweiz und somit das Ticket nach Tokyo zu ergattern, musste die Schweiz das im Wettkampf das beste Land sein, das noch keinen Quotenplatz für Tokyo hatte. Zudem musste ich besser als meine Teamkollegin aus der Schweiz paddeln, damit ich die Schweiz an den Olympischen Spielen vertreten dürfen würde. Mit diesem Wissen im Hinterkopf an einer Startlinie zu stehen, ist alles andere als einfach. Ich versuchte, nicht daran zu denken, dass ich schon sehr lange auf dieses Ziel hinarbeite und jetzt alles von den nächsten hundert Sekunden abhängen wird. Denn das soll an der Startlinie keine Rolle mehr spielen. Die Vorbereitung, die gut zum Schluss, aber oft auch schwierig war, spielt ebenfalls keine Rolle mehr. Alles, was zählt, ist der Moment und die ersten paar Tore, die bereits vom Startblock aus zu sehen sind. Während den nächsten 93.08 Sekunden musste ich extrem konzentriert bleiben, meinen Plan für die Strecke präzise einhalten, jeder Paddelschlag, Kante, Winkel muss stimmen. Ich berührte ein Tor, plus zwei Strafsekunden. Doch der Lauf war ansonsten solid, ich konnte meinen Plan umsetzen und den Lauf runterbringen. Ich qualifizierte mich gleich im ersten Lauf für den Halbfinal. Erst rund eine Stunde später wurde klar, als auch im zweiten Lauf keine andere Athletin den Halbfinaleinzug schaffte, die noch einen Quotenplatz ergattern musste, dass dies der entscheidende Schritt, der entscheidende Lauf gewesen war. Ich hatte mich für die Olympischen Spiele in Tokyo qualifiziert! Anfangs konnte ich es kaum fassen und ich wagte es fast nicht, das alles wirklich zu glauben. Nach vielen Glückwünschen, Nachrichten, Telefonaten, wurde es langsam realer. Doch der Wettkampf war noch nicht beendet. Zwei Tage später stand das Halbfinale an. Ich wollte meine Leistung aus dem Qualilauf bestätigen oder sogar noch verbessern, ich wollte den Leuten zeigen, dass ich das Olympiaticket verdient hatte. Und genau das tat ich. Der Kurs war schwierig gesteckt, es gab viele potentielle Fehlerquellen. Aber mein Plan war gut, ich kam ohne grössere Fehler und ohne Torberührungen ins Ziel. Auf Rang 2, gleich hinter der Olympiasiegerin von 2016, qualifizierte ich mich für das Finale! Damit hatte niemand gerechnet. Der Finallauf war dann nicht mehr ganz so gut wie der Halbfinallauf, jedoch war dies okei und ich war zufrieden. Um in einem Finale richtig liefern zu können, braucht es Finalerfahrung, die ich noch nicht habe. Ich war sehr glücklich über meine erste Finalteilnahme und somit Top 10 Resultat an einer Elite Europameisterschaft. Das Gefühl, an der Startlinie eines Finals zu stehen, mit internationalen Spitzen-Paddlerinnen um einen der besten Ränge zu kämpfen, ist einfach super und es macht Lust auf mehr solche Momente. Bereits zwei sehr grosse Erfolge, Qualifikation für Tokyo 2020NE und Rang 9 im Slalom im Kasten, stand jetzt noch der Extreme Slalom an. Extreme Slalom ist eine relativ neue Disziplin in unserem Sport, wo vier Boote (Plastikboote, damit man ineinander reinfahren kann) miteinander eine Rampe runterspringen und gegeneinander einen leichten Slalom fahren müssen. In Paris 2024 wird diese Disziplin olympisch sein, weswegen sie deutlich an Wichtigkeit gewonnen hat, seit dies feststeht. Ich nahm das erste Mal an einem Extreme Slalom Wettkampf im internationalen Feld teil und wusste nicht recht, was auf mich zukam. Jedoch war ich im Time Trial sehr schnell und kam danach auch in den Heats bis ins Halbfinale. Ich beendete dieses Rennen auf Rang 5, womit mir ein super Debüt in dieser Disziplin gelang.

Maturprüfungen zwischendurch

Nach diesen erfolgreichen und emotionalen Renntagen fuhren wir zurück in die Schweiz, wo ich in der folgenden Woche Maturaprüfungen zu absolvieren hatte. Mit dem Kopf schon halb in Tokyo schrieb ich zuerst die schriftlichen Prüfungen, trainierte ein paar Tage zuhause und direkt nach meiner letzten mündlichen Prüfung fuhren wir auch schon wieder los nach Prag für einen Weltcup.

Weltcups Prag und Leipzig

Die Strecke in Prag liegt mir nicht besonders und ich war froh, als ich auch da solide Läufe mit bloss kleinen Fehlern zeigen konnte. Leider hat mich eine Torberührung oder auch ein winziger Fehler den Einzug ins Halbfinale gekostet, Platz 31 mit 0.03 Sekunden Rückstand auf den 30 und somit letzten Platz im Halbfinale. Am Sonntagmittag, noch bevor ganz alle Rennen durch sind, fuhr ich mit einer Mitfahrgelegenheit nach Leipzig, um bereits eine erste Trainingseinheit auf der neuen Strecke zu absolvieren. Der Charakter der Strecke in Leipzig liegt mir mehr und ich rechnete mit höheren Chancen für das Halbfinale als noch in Prag. Die Trainingswoche lief gut und ich war zufrieden mit meiner Vorbereitung. Doch der Renntag war nicht mein Tag. Der zweite Lauf war ein guter Lauf, abgesehen von einem grossen Fehler, der mich zu viele Sekunden kostete. Doch das ist Kanuslalom, es kann alles passieren und eine falsche Kante kostet schnell viele Sekunden, wenn man Pech hat. Nach diesen zwei ernüchternden Weltcups durfte ich aber den Kopf nicht hängen lassen. Diese Weltcups waren keine Hauptziele meiner Saison gewesen und galten nur der Vorbereitung für Tokyo, das immer näher rückte.

Olympische Spiele Tokyo 2020*

Nach zwei Wochen in der Schweiz ging das grosse Abenteuer auch schon los. Wir verbrachten zwei Wochen in einem Hotel in Tokyo, das wir nur zum Trainieren verlassen durften und strenge Coronaregeln herrschten. Rund eine Woche vor dem Wettkampf durften wir dann ins olympische Dorf umziehen, wo man immer noch jeden Morgen einen Spucktest machen musste, ansonsten das Leben aber freier war. Anfangs war es sehr schwierig, sich an die grosse Hitze und die extreme Luftfeuchtigkeit, aber auch an den unbekannten, aber schwierigen Wildwasserkanal anzupassen. Ein paar Tage vor dem Rennen fühlte ich mich endlich besser auf dem Wasser und der Wettkampf durfte kommen. Am Renntag freute ich mich riesig, war aber auch sehr nervös, was ich sonst nicht so stark von mir kenne. Meine beiden Qualiläufe waren auch sehr schwierig und gespickt mit vielen Fehlern und Unsicherheiten. Ich qualifizierte mich glücklicherweise gerade so für das Halbfinale, das zwei Tage später stattfinden würde. Mein Halbfinallauf war viel besser. Ich fuhr nicht fehlerfrei, aber mit dieser Leistung an meinen ersten Olympischen Spielen bin ich sehr zufrieden. Ich nahm aus der Zeit in Tokyo viele neue Erfahrungen mit, habe viel gelernt und gewann noch mehr Motivation mit für den nächsten Olympiazyklus.

U23 Europameisterschaft Solkan

Nach den olympischen Spielen hatte ich fünf Tage Ferien, um mich zu erholen und den Kopf auszulüften. Doch lange blieb mir nicht, denn die U23 Europameisterschaft in Solkan stand vor der Tür. Ich kehrte also in meinen Trainingsalltag zurück und nach knapp zwei Wochen gings dafür schon wieder los. Auf dem Wasser fühlte ich mich besser als in Tokyo, physisch und psychisch war ich mehr in Form. Doch ich wusste auch, dass mir Solkan, als relativ flache Strecke, nicht besonders liegt und ein kleiner Fehler beim Wettkampf schon das Aus bedeuten kann, weil das Konkurrenzfeld sehr eng zusammen ist. Genau ein solcher kleiner Fehler ist mir dann am Rennen passiert. Enttäuschender weise kein Halbfinale an der U23 EM für mich. Ich hatte mehr erwartet und wusste auch, dass ein Final oder mehr drin gelegen wäre.

Elite Weltmeisterschaft Bratislava

Doch wieder durfte ich den Kopf nicht hängen lassen, denn ein weiterer grosser Wettkampf stand noch an – die Elite Weltmeisterschaft in Bratislava. Wieder war ich zwei Wochen zuhause, bevor zum letzten Wettkampf einer langen Saison fuhr. Da die Wildwasserstrecke in Bratislava dieses Jahr umgebaut wurde, fuhren wir gleich nach der U23 EM für vier kurze Trainingstage hin, um die Strecke kennenzulernen. Dies erleichterte stark den Einstieg ins Training vor der WM und ich war froh, dass wir diesen Aufwand betrieben hatten. Ich merkte jedoch auch, dass mein Körper und Kopf langsam müde waren von der Saison. Für den Wettkampf nahm ich nochmals all meine Energie zusammen und gab mein Bestes. Im Slalom reichte es nicht für einen Halbfinal. Der zweite Lauf war zwar in der ersten Hälfte sehr gut, im zweiten liess jedoch die Konzentration zu stark nach und ich machte zu grosse Fehler. Eine zweite Chance, eine gute Platzierung zu erreichen, hatte ich im Extreme Slalom. Ich setzte mich in den Trials, wo man allein gegen die Zeit fährt, gegen meine Teamkollegin durch und durfte somit die Schweiz in den Heats vertreten. Schon mein erster Heat war schwierig und ich musste mich gegen Top-Paddlerinnen durchsetzen. Was mir gelang. Im Extreme Slalom gibt es eine sehr hohe Fehlerquote, weshalb viele Paddler*innen wegen eines falsch befahrenen Tors o.a. ausscheiden. So kam es, dass ich mich, zur Überraschung vieler, bis in den letzten Heat, das Finale, vorkämpfte. Da gelang mir leider kein perfektes Rennen und ich verpasste knapp eine Medaille. Aber Top 4 an der Weltmeisterschaft im Extreme Slalom; damit hätte ich definitiv nicht gerechnet und ich bin froh, nahm diese WM noch ein versöhnliches Ende für mich.

Fazit

Die vergangene Saison war gespickt von Auf und Abs, ich war manchmal enttäuscht, durfte aber auch schöne Erfolge feiern und das High-Light Tokyo 2020 erleben. Das Hauptziel dieser Saison, worauf ich seit fünf Jahren hinarbeite, mich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, erreichte ich. Dies darf man/ ich nicht vergessen, wenn ich auf die Saison zurückschaue und dem ein- oder anderen Misserfolg nachtrauere. Der 9. Rang an der Elite EM in Ivrea zeigt, zu was ich fähig bin und lässt auf weitere Finalteilnahmen und mehr in Zukunft hoffen. Auch die Resultate im Extreme Slalom an den beiden Elite Meisterschaften sind vielversprechend, vor allem im Hinblick auf Paris, wo diese noch junge Disziplin olympisch sein wird.

Der grösste Wettkampf meiner bisherigen Karriere hat mich sehr beeindruckt, motiviert und ich konnte sehr viel lernen für meine Zukunft im Sport. Es gibt noch viele Punkte, an denen ich arbeiten muss/ kann/ darf und ich freue mich darauf! Die nächsten Olympischen Spiele kommen bald und ich werde alles geben, um mich bis dahin noch weiter zu verbessern und hoffentlich ganz vorne mitmischen zu können.

Vielen Dank an alle Unterstützer, ohne euch wäre all dies nicht möglich!

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